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Reflektor M, Interview anlässlich der Diplomausstellung, AdBK München (2016), mit Christiane Breul

 

Profil: Keiyona Stumpf – Diplom 2016 (DE) Interview mit Christine Breul

 

RM: Keiyona, in deinen Arbeiten sind ästhetisch reizvolle Ornamente, genauso wie an Gräueltaten erinnernde Formen zu beobachten: Ornament und Verbrechen – wie kann man diese Worte mit deiner Arbeit zusammenbringen?

KS: Ornamentik spielt in meinen Arbeiten eine große Rolle, Verbrechen gar keine. Was in meinen Arbeiten neben der Schönheit der organisch-körperlichen, ornamentalen Formensprache bisweilen ausdruckt, ist vielmehr ein Gefühl der Verletzlichkeit, was für mich neben der Freude und Schönheit zum allem Lebendigen dazugehört, wie auch zur großen Bandbreite der (körperlichen) Empfindungen. Letztendlich verweisen die gewählten Formen auf innere Prozesse. In seiner Schrift Ornament und Verbrechen ́von 1908 bezeichnet Adolf Loos die ornamentalen Verzierungen oder `andere künstlerische Gestaltungsversuche ́an einem Gebrauchsgegenstand als unangemessen, überflüssig und barbarisch. Interessanter finde ich folgende Aussage von ihm, die aus derselben Schrift stammt: '...Der Drang, sein Gesicht und alles, was einem erreichbar ist zu ornamentieren ist der Uranfang der Bildenden Kunst. Es ist das Lallen der Malerei. Alle Kunst ist erotisch...'. Hier zieht er Verbindungen zwischen Ornamentik, dem Kunstschaffen und einer körperlich wahrnehmbaren Sinnlichkeit.

RM: Wir sprachen über Gunther von Hagens im Gegensatz zu der anatomischen Sammlung in Florenz: Wie war Dein Weg zur jetzigen Form- und Farbgebung?

 

KS: Mich haben anatomische Darstellungen und Abbildungen, die das Innere des Körpers zeigen, schon immer fasziniert. Der menschliche Körper und sein innerer Aufbau ist ein Meisterwerk in sich, in dem die verschiedenen Körperorgane und Funktionen auf so unglaublich perfekte Weise miteinander agieren, so dass er uns am Leben erhält. Was auf den ersten Blick abstoßend oder eklig wirkt, weist bei genauem Hinschauen eine enorme Schönheit auf. Ich denke, dass alles, was wir wahrnehmen der eigenen persönlich geprägten Interpretation unterliegt, und oft davon abhängig ist, welche Blickweise man von außen angenommen oder anerzogen bekommen hat. Weniges können wir wirklich unvoreingenommen betrachten.

Die Wachsmoulagen aus dem 17.Jhdt, die ich vor einigen Jahren im naturhistorischen Museum Florenz gesehen habe, haben mich daher sehr in den Bann gezogen. Besonders die naturgetreue und lebensgroße Darstellung einer - auf einem roten Samtkissen mit Goldrand liegenden Frau mit langen offenen Haaren, deren gesamter Bauchraum offen gelegt und die einzelnen Organe seitlich nach außen drapiert wurden. Diese Darstellung der Schönheit des Innenlebens eines Körpers empfand ich als weitaus gekonnter und „würdiger“ als die Körperkabinette von Gunther von Hagens.

Ich habe in meinen Arbeiten oft versucht, genau diesen Moment zwischen Faszination und Ekel, zwischen Schönheit und Schludrigkeit, den Punkt, wo es einem buchstäblich „unter die Haut geht“ auszumachen.

CB: Deine Arbeiten zeigen Form- und Farbstrukturen, die nach einem glücklichen Zufall aufgrund von erarbeiten Handwerk schließen lassen: Kalkulierter Zufall? Welche Rolle spielt Materialwahl und -beschaffenheit in deinem Werk?

KS: Materialwahl- und Beschaffenheit spielt in meinem Werk eine wesentliche Rolle. Den Ausgangspunkt jeder Arbeit stellt immer das verwendete Material dar, das ich im Hinblick auf seine Möglichkeit der leichten Verformung und der Transformation in unterschiedliche Aggregatzustände auswähle, wie beispielsweise Gips, Wachs, Kunststoff oder Kunststofffolien, Glas. Hierbei bin ich stets auf der Suche nach dem individuellen Formenrepertoire, das jedes Material in sich birgt und das ich beispielsweise durch Erhitzen, verflüssigen oder andere Eingriffe zum Vorschein kommen lasse.

Aus den spezifischen Qualitäten jedes Materials und seiner Kombination mit anderen, kristallisiert sich im Laufe der Arbeit ein eigenes Formprinzip heraus, das dann in skulpturalen Arbeiten, raumgreifenden Wandarbeiten oder Installationen sein Eigenleben entwickelt.

Somit nutz ich die spezifischen Eigendynamik des verwendeten Materials zur Formfindung, andererseits nehme ich aber auch ganz gezielte bildhauerische Eingriffe vor. Diese orientieren sich jedoch häufig so nahe an den Eigenschaften des Materials, dass sie kaum noch von den zufällig entstandenen Verformungen zu unterscheiden sind. Der Bildraum wirkt hierbei häufig wie die Momentaufnahme eines dynamischen Prozesses, in dem Formen entstehen und wieder vergehen.

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